Minister Jobet zur Wasserstoffstrategie: "Der Exportmarkt ist der Schlüssel"
Berlin, 17. Juli 2021. Im Rahmen seines Deutschlandbesuches hat sich der Minister für Energie und Bergbau, Juan Carlos Jobet, in Berlin mit dem Tagesspiegel-Journalisten Christian Schaudwet getroffen und ihm im Interview dargelegt, wie Chile sich durch die Entwicklung der erneuerbaren Energien und mittels seiner Wasserstoff-Strategie modernisiert.
Tagesspiegel: Herr Minister, während Ihres Besuchs in Deutschland dreht sich alles um grünen Wasserstoff. Der wird hier bald begehrt sein, und Chile will groß in die Produktion einsteigen. Nehmen Sie schon Export-Deals mit nach Hause?
Jobet: Wir bekommen eine Menge Interesse aus dem Ausland – besonders, seit wir im November unsere grüne Wasserstoffstrategie verabschiedet haben. Damals hatten wir 20 Projekte. Heute haben wir doppelt so viele. Und ich glaube, auf dieser Europareise haben wir die Beziehungen zu mehreren potenziellen Partnern gestärkt. In Deutschland zu Siemens, MAN, Porsche, Linde, BMW, RWE – an einem einzigen Tag. Am nächsten Tag gingen die Gespräche weiter mit der Deutschen Bahn, Thyssenkrupp und Austria Energy. Mit den meisten haben wir uns auf sehr konkrete nächste Schritte geeinigt.
Tagesspiegel: In Deutschland richten sich große Hoffnungen auf das Importkonzept H2 Global. Es soll über Doppelauktionen und staatliche Förderung Hersteller von Wasserstoff im Ausland mit Abnehmern im Inland zusammenbringen. Werden Konsortien aus Chile sich beteiligen?
Jobet: Wir sind uns dieses Instruments bewusst, aber wir kennen die Details nicht. Soweit ich weiß, engagiert sich noch kein chilenisches Unternehmen auf der Plattform. Aber sie zeigt sehr klar das deutsche Interesse, sich grünen Wasserstoff zu sichern und die ganze Entwicklung zu beschleunigen.
Tagesspiegel: Der Praxistest für H2 Global steht noch aus. Als Vertreter eines möglichen Anbieterlandes – halten Sie das Konzept für brauchbar?
Jobet: Definitiv. Es gibt die Wasserstofftechnologie mit enormem Potenzial, die 20 Prozent des globalen Energiebedarfs decken könnte. Aber wir haben ein Henne-Ei-Problem. Wir müssen Größenordnungen erreichen, die die Kosten senken. Dazu brauchen Anbieter und Nachfrager Sicherheiten. Für private Unternehmen ist es in dieser Phase sehr wichtig zu sehen, dass der Staat sich engagiert.
Tagesspiegel: Grüner Wasserstoff wird in den ersten Jahren sehr knapp sein, der Bedarf international hoch. Wer außer Deutschland will chilenischen Wasserstoff?
Jobet: Auf der Abnehmerseite in Europa wird Deutschland sehr wichtig sein. In Asien betrachten wir Japan und Korea als die attraktivsten Märkte.
Tagesspiegel: Was ist mit China?
Jobet: China wird viel Wasserstoff einsetzen. Aber die Chinesen erwarten, dass sie allen Wasserstoff, den sie brauchen, selbst produzieren können. Singapur wird eine Rolle als Drehkreuz spielen. Indien könnte wichtig werden. Und wir rechnen damit, dass die USA ein attraktiver Markt für uns werden.
Tagesspiegel: Deutschland hat sich in Chile über eine bilaterale Energiepartnerschaft engagiert, über die KfW, über die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit – inklusive einer Beratungsrolle bei Ihrem Kohleausstieg. Wird sich das für Deutschland auszahlen?
Jobet: Da bin ich sicher. Wir arbeiten auf Regierungsebene zusammen, auf Ebene der am Wasserstoffimport interessierten Unternehmen, auf Ebene der deutschen Technologielieferanten, auf Finanzierungsebene – auch der privatwirtschaftlichen. Die deutschen Unternehmen können ihre Technologie in Chile unter Realbedingungen weiterentwickeln. Das muss man dort machen, wo die Energieressourcen sind. Wenn sie uns helfen, unsere Wasserstoffindustrie zu entwickeln, werden sie davon profitieren.
Tagesspiegel: Auf längere Sicht werden Sie scharfe Konkurrenz besonders von Saudi-Arabien, aber auch anderen Ländern in Nahost und Afrika und vielleicht Nordeuropa bekommen. Wie wollen Sie sich gegen die durchsetzen?
Jobet: 80 Prozent der Kosten grünen Wasserstoffs sind Stromkosten. Der Kapazitätsfaktor für Photovoltaik, der den Erzeugungszeit-Anteil eines Jahres wiedergibt, liegt in Chile bei bis zu 37 Prozent, in Saudi-Arabien bei bis zu 30 Prozent. Unser Kapazitätsfaktor bei Onshore-Windenergie in der südlichen Provinz Magallanes kann 75 Prozent übersteigen. In der Nordsee reicht er nur bis 57 Prozent – offshore! Diese natürlichen Grundlagen werden sich nicht verändern. Sie sind unser Wettbewerbsvorteil.
Tagesspiegel: Dennoch liegt Chile weit abseits vieler wichtiger Wasserstoff-Interessenten. Die größere Transportdistanz dürfte für Sie zum Wettbewerbsnachteil werden.
Jobet: Wenn Sie Chile und Australien als Wasserstofflieferanten für Japan vergleichen, dann liegt Australien zwar viel näher. Unsere Berechnungen zeigen aber, dass unser Kostenvorteil bei der Produktion unseren Nachteil bei der Logistik mehr als kompensiert. Zudem glaube ich, dass Abnehmerländer eine diversifizierte Gruppe von Lieferanten haben werden. Es wird ein hoch entwickeltes Handelsnetzwerk sein. Wenn beispielsweise Chile günstigster Produzent wird, verlässt Deutschland sich wahrscheinlich trotzdem nicht zu 100 Prozent auf Chile. Ich würde es nicht tun – doch, auf Chile vielleicht schon (lacht).
Tagesspiegel: Ende 2020, Anfang 2021 gab es bei Ihnen Massenproteste gegen soziale Benachteiligung, hohe Lebenshaltungskosten, Privatisierungen, Korruption. Es gab Tote. Chiles Wasserstoffvorhaben sind Projekte von Eliten und ausländischen Unternehmen. Wieviel Risiko birgt die soziale Spaltung für Ihre Pläne?
Jobet: Ja, es gab Proteste. Chile hatte 30 sehr erfolgreiche Jahre, in denen die Armut stark verringert wurde. Es hat sich dramatisch verändert. Aber wir waren nicht in der Lage, die Institutionen schnell genug anzupassen, damit sie sich um die veränderten Erwartungen kümmern konnten – staatliche Institutionen, aber auch Geschäftseliten, intellektuelle Eliten. Die Institutionen blieben zu starr.
Tagesspiegel: Wie reagieren Sie darauf?
Jobet: Jetzt sind wir dabei, die Institutionen zu modernisieren. In diesem Zusammenhang werden die Energie-Transition und die Wasserstoff-Agenda starke soziale Wirkung haben. Die Menschen im Süden des Landes werden nicht mehr mit Holz heizen müssen, sie können es durch Elektrizität ersetzen. Der Energie-Umbau wird eine Menge Jobs in Landesteilen schaffen, wo wir bisher nicht viele Investitionen haben. Er bringt soziale Verbesserungen, ist umweltfreundlich und passt sehr gut zu dem, was jüngere Generationen wollen. Das sind alles Dinge, für die die Leute während der Proteste auf die Straßen gingen.
Tagesspiegel: Chile will seinen Bergbau und andere Sektoren mit wasserstoffbasierten Kraftstoffen klimafreundlicher machen. Wie wollen Sie die Erwartungen von Importeuren erfüllen und zugleich den eigenen Bedarf decken? Wenn es knapp wird, wer hat Priorität?
Jobet: Unsere erneuerbaren Ressourcen sind so reichhaltig, dass wir in der Lage sein werden, sowohl den lokalen als auch die Exportmärkte zu versorgen. Wir haben ein Potenzial von 1900 Gigawatt an erneuerbaren Energien identifiziert – das ist das 70-Fache der aktuellen Größe unseres Stromsystems. Um diese Ressourcen zu nutzen, ist der Exportmarkt also der Schlüssel. Und wenn wir beide Märkte gleichzeitig ausbauen, können wir die Produktionskosten schneller senken. Wir sehen hier also keinen Zielkonflikt, sondern Synergieeffekte.
Tagesspiegel: Im November stehen bei Ihnen Parlaments-, Präsidentschafts- und Regionalwahlen an. Könnte ein Regierungswechsel Chiles Wasserstoffperspektive gefährden?
Jobet: Wir haben eine breite Koalition hinter unserer Wasserstoffstrategie und hinter unserer Energie-Transition – von ganz links bis Mitte-rechts. Ich habe gezielt daran gearbeitet, sie alle an Bord zu holen. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir Kontinuität haben werden.