Heraldo Muñoz, chilenischer Außenminister: Was hinter einer bolivianischen Klage steckt
25. November 2014. Vor kurzem reichte Bolivien Klage gegen Chile vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag ein und ersuchte besagtes Gericht darum, Chile dazu zu verpflichten zu verhandeln und letztendlich einen souveränen Zugang zum Meer zu gewähren.
Vor kurzem reichte Bolivien Klage gegen Chile vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag ein und ersuchte besagtes Gericht darum, Chile dazu zu verpflichten zu verhandeln und letztendlich einen souveränen Zugang zum Meer zu gewähren.
Der von Bolivien erbetene souveräne Zugang zum Meer durch chilenisches Gebiet impliziert eine nicht vereinbarte Änderung des Friedens- und Freundschaftsvertrags von 1904, der die Grenzen zwischen Chile und Bolivien festlegte und eine großzügige Regelung für den nicht souveränen Zugang Boliviens zum Meer aufstellte. Daher stellt die Klage eine Bedrohung der Stabilität der Grenzen sowie des Grundprinzips des Völkerrechts zur Vertragseinhaltung dar.
Die Regierung in La Paz stützt ihre Klage auf den Pakt von Bogotá, jedoch schließt Artikel VI dieses Paktes die gerichtliche Zuständigkeit des Gerichtshofes für die durch vor seiner Unterzeichnung im Jahr 1948 vertraglich gelösten und geregelten Rechtssachen aus. Bolivien hält daran fest, dass seine Klage den Vertrag von 1904 nicht anficht; dennoch stimmt es, dass -auch wenn vermieden wird das zu erwähnen- seine Anträge den Ursprung dessen angreifen, was besagter Vertrag bis heute löste und regelt.
Bolivien argumentiert, dass Chile verpflichtet sei, ihm als Ergebnis des Dialoges über dieses Thema, den beide Länder im Laufe der Geschichte gehalten haben, einen souveränen Zugang zum Meer zu gewähren. Die Regierung in La Paz verwechselt damit eine Hoffnung mit einem Rechtsanspruch. Ein so bedeutsames Recht, das nichts Geringeres als die territoriale Integrität eines Landes und gültige Verträge angreift, kann man nicht aus erfolglosen Verhandlungen und Dialogen ableiten. Würde die Behauptung Boliviens stimmen, würde kein Land mit einem anderen aus Angst davor verhandeln, dass die näher beleuchteten Formulierungen eines Abkommens, sollten sie versagen, nachträglich zu Verpflichtungen für diesen Staat werden.
Es gibt einen zusätzlichen Umstand. Jedes Mal, wenn Chile im Rahmen von politischen Verhandlungen Vorschläge formulierte, um Boliviens Streben nach einem Zugang zum Meer zu entsprechen, scheiterten die Verhandlungen aus Gründen, die nicht in der Bereitschaft Chile begründet lagen, sondern in ihrer Mehrheit der Innenpolitik Boliviens zuzurechnen waren.
Der bedeutende bolivianische Diplomat Walter Montenegro hält in seinem Buch „Oportunidades perdidas: Bolivia y el Mar“[1] fest, dass notwendigerweise anerkannt werden muss, dass die Bolivianer selbst zu dieser Reihe frustrierender Verhandlungen beigetragen haben; der ehemalige Außenminister Armando Loayza seinerseits hat argumentiert, dass Bolivien am Scheitern der bilateralen Verhandlungen „eine sehr hohe Verantwortung“ trägt.
Bolivien will die internationale Gemeinschaft glauben machen, dass es sich in Isolation befinden. Die Realität sieht anders aus. Bolivien verfügt über einen uneingeschränkten, nicht souveränen Zugang zum Meer.
Dem bereits erwähnten Vertrag von 1904 entsprechend erkannte Chile zugunsten von Bolivien “das weitreichendste und freieste Recht zur gewerblichen Durchfuhr durch sein Territorium und seine Pazifikhäfen“ an. Diese Regelung wurde durch das Transitabkommen von 1973 auf „jedwede Fracht und zu jeder Zeit ohne jegliche Ausnahme“ ausgedehnt.
Bolivien übt Zollhoheit über das von dort stammende oder das für sein Land gedachte Frachtgut aus und unterhält sogar seine eigenen Einrichtungen und eigenes Zollpersonal in chilenischen Häfen.
Unser Land stellt auch die Dienstleistungen für die weiterzuführenden bolivianischen Frachtstücke von der Mehrwertsteuer frei, womit Bolivien ein Vorteil eingeräumt wird, der größer ist als der, der den Binnenstaaten von der internationalen Gemeinschaft gewährt wird. Außerdem verfügt Bolivien über die kostenfreie Lagerung für ein Jahr von Importfracht und für 60 Tage von Exportfracht. Dieser Vorteil wird weder auf chilenische Frachtgüter noch auf Frachtgüter von Drittländern angewendet.
Chile baute auf Kosten des eigenen Staatshaushaltes eine Eisenbahn und Schienenwege, um den Hafen von Arica mit La Paz zu verbinden. Die Eisenbahn hat Transport- und Frachtdienste geleistet und vielfach auch Passagiere befördert.
Aber über die Zeichen der Geschichte und die eindeutigen Tatsachen hinaus ist die chilenische Regierung überzeugt, dass es für die Entwicklung Lateinamerikas wichtig ist, die Geister der Vergangenheit zu beseitigen und den Blick nach vorne zu richten. Die Klage Boliviens dient diesem Zweck in keiner Weise.
Chile und Bolivien haben die Herausforderung zu bewältigen, zukünftige Beziehungen zu errichten. Das 19. Jahrhundert hinter sich zu lassen, um endgültig ins 21. Jahrhundert zu gelangen.